Frage 1: Kaum ein Begriff polarisiert in der Nachhaltigkeitsdiskussion so wie der Begriff „Wachstum“. Sind „qualitatives“ oder „nachhaltiges“ Wachstum nur Worthülsen oder eine echte Alternative? Wie beurteilen Sie das?
Dr. Bachmann: Das erste Problem ist wohl, dass die Polarisierung ein Binnenereignis der Nachhaltigkeitsscene ist, während sich der Mainstream mühelos mit dem traditionellen Wachstumsbegriff zufriedengibt. Wir sind mit Alternativen noch nicht durchgedrungen, wohl auch weil das Moralische oft das Praktische verdrängt. So wird alternatives Wachstum immer noch mit der unzureichenden Zahlenwelt der Volkswirtschaftslehre berechnet, obwohl doch offensichtlich ist, dass die finanziellen Kennziffern nicht die Wahrheit über Ökologie und Soziales sagen. Mitunter überzeugen sie nicht einmal in ihrer Kernkompetenz, dem Ökonomischen. Fossiles Wachstum ist unechtes Wachstum und unendliches Wachstum gibt es nicht. Alternativen müssen echt wachsen.
Frage 2: Die nachhaltige Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft ist eine Aufgabe, deren Erfolge nur in der Langfristperspektive sichtbar werden. Die individuellen Anpassungsmaßnahmen müssen dagegen kurzfristig erfolgen. Wie kann Politik Menschen dazu bewegen, mitzumachen und sich nicht gegen Veränderungen zu wehren?
Dr. Bachmann: Ich zweifle immer reflexartig an „nur“-Formeln. Hier auch. Wir erleben doch gerade kurzfristige Veränderungen. Warum sollen die nicht auch für die Transformation im Prinzip möglich sein?
Frage 3: Im Frühsommer ist viel über den Kommunikationsstil von Wirtschaftsminister Robert Habeck geschrieben worden. Wie sollten Politiker:innen mit ihren Wähler:innen über kurzfristige Unbequemlichkeiten bei der Erreichung langfristiger Ziele sprechen? Oft scheinen sie Angst davor zu haben.
Dr. Bachmann: Al Gore konfrontierte die Menschen mit „unbequemen Wahrheiten“. Das war noch weitgehend ohne große Folgen, weil es weit weg schien. Heute ist das nah dran und die Sache wird noch unbequemer. Wer so etwas nicht ausspricht, wird verlieren. Wo Angst zu befürchten ist, muss man mit Hoffnung und Gemeinsamkeit reagieren. Wer so etwas versucht, hat die Menschen auf seiner Seite. Sie oder er darf ihnen nur halt nichts vormachen und muss sich selbst mit ins Bild nehmen. Und man muss einbeziehen, dass das, was eben noch außergewöhnlich, herausfordernd, unbequem war, schnell als normal gilt. Oft schneller als man denkt. Die eigentliche Hürde ist die Veränderung der Bezugsgrößen. Das shifting baseline kann positiv wie negativ ins Gewicht fallen. Es ist gut, das zu verstehen und nutzen zu wollen.
Dr. Günther Bachmann hält die Keynote zum Empfang im Friedenssaal im Rathaus Osnabrück.