Frage: Wie ist ihr heutiger Blick auf die Entwicklung und die Anwendung der EU-Taxonomie?
Seit 2008 begleite ich Nachhaltigkeitsthemen beruflich und aus privaten Interesse schon viel länger. Immer wieder wurde bei Ereignissen wie beispielsweise das Reaktorunglück in Fukushima im Jahr 2011 Nachhaltigkeit als Megatrend oder unbedingtes Muss ausgerufen. Aber zu wenig ist passiert. Erst der europäische Green Deal mit der Schaffung von notwendigen gesetzlichen Rahmenbedingungen soll den Weg zu einem nachhaltigen und ab 2050 klimaneutralen Europa ebnen. Die Taxonomie sehe ich als wesentlichen Meilenstein an, der Nachhaltigkeit definiert, also genau sagt, was auf Nachhaltigkeitsziele einzahlt oder eben nicht. Die extreme Schnelligkeit der Umsetzung der Taxonomie von den Gesetzen in die Unternehmen hinein ist eine große Hürde, die wir alle nehmen müssen. Dies ist für uns alle – egal wie man bisher aufgestellt war – nicht mal eben umzusetzen. Diese Schnelligkeit wird aber gefordert und sie ist notwendig, wenn wir den Klimawandel verlangsamen wollen.
Frage: Wo liegen die Hürden bei der Ermittlung der Taxonomie-Kennzahlen?
Wie gesagt, ist die Schnelligkeit der Umsetzung eine große Hürde. Erst kam die Transparenz-Verordnung (SFDR), die die Offenlegung von Nachhaltigkeit für Finanzprodukte fordert. Die technischen Regulierungsstandards, die die inhaltliche Ausgestaltung bedeuten, wurden immer wieder verschoben und kommen mit einem zeitlichen Verzug von über zwei Jahren. Dennoch mussten die Unternehmen Gesetze umsetzen. Man hat teilweise das Gefühl, dass man sich selbst rechts überholt.
Die ökologische Taxonomie hat einen ähnlichen zeitlichen Versatz. Die ersten beiden Umweltziele Maßnahmen zum Klimaschutz und Anpassung an den Klimawandel sind schon in Kraft getreten. Die weiteren vier Umweltziele mit nachhaltiger Nutzung und Schutz der Wasser- und Meeresressourcen, Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft, Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung sowie Schutz und Wiederherstellung der biologischen Vielfalt und der Ökosysteme werden erst noch in Kraft treten. Diese Beispiele zeigen schon die großen Hürden bei der Ermittlung von Kennzahlen.
Als Versicherung haben wir die ersten Kennzahlen zur Taxonomiefähigkeit in unseren nichtfinanziellen Berichten für das Jahr 2021 berichten müssen. Da der Gesetzgeber die Anpassung an den Klimawandel für die Versicherer als wesentliches Thema und Umweltziel sieht, mussten wir dazu berichten, d. h. wie hoch sind Investitionen und wie zahlen die Nicht-Lebensversicherungsprodukte auf dieses Taxonomieziel ein. Das Gesetz und deren Auslegung brachte aber viel Interpretationsspielraum mit sich, ohne eine Hilfestellung zu haben, an der man sich orientieren konnte. Im Rückblick können wir festhalten, dass wir ganz gut mit unserer Einschätzung lagen und die Versicherungsbranche ähnlich berichtet hat. Eine Vergleichbarkeit ist derzeit dennoch mit Vorsicht zu genießen. Durch den Interpretationsspielraum sagen die Kennzahlen noch nicht viel darüber aus, wie Unternehmen derzeit in Bezug auf ihre Umweltleistung aufgestellt sind.
Frage: Welche richtungsweisenden Entwicklungen sehen Sie bei der Harmonisierung der Offenlegung von Nachhaltigkeitsdaten?
Ich bin überzeugt davon, dass die europäische Taxonomie einen wesentlichen Meilenstein darstellt, um den Green Deal umzusetzen. Die Taxonomie wird noch um Ziele zu Soziales und guter Unternehmensführung vervollständigt. Damit arbeitet Europa konsequent auf die Sustainable Development Goals (SDGs) hin und kommt damit der international eingegangenen Verpflichtungen aller europäischen Länder nach. Dabei will ich unbedingt noch erwähnt haben, dass bei den SDGs auch von der Agenda 2030 gesprochen wird, d. h. dass wir nur noch acht Jahre Zeit haben, um die Ziele zu erfüllen. Da wären wir wieder beim Thema Schnelligkeit.
Für mich sind weitere zwei Gesetze von entscheidender Bedeutung bei der Harmonisierung der Daten: 1. Die Weiterentwicklung der Nachhaltigkeitsberichterstattung über die CSR-Directive mit eigenen Kennzahlenwerken und 2. der ESAP (European Single Access Point), d. h. eine Datenbank, die mit Nachhaltigkeitskennzahlen von mindestens über 50.000 europäischen Unternehmen kostenlos bereitstellt. Warum so viele Unternehmen? Weil diese bald über die CSR-Directive zur Nachhaltigkeitsberichterstattung verpflichtet sind.
Mein Aufruf an alle: Beschäftigen Sie sich ab sofort mit diesen Themen aus zwei Gründen!
- Der Klimawandel wartet nicht und die Kipppunkte sind bald erreicht, an dem wir große Probleme bekommen werden.
- Sie werden die regulatorischen Anforderungen unter keinen Umständen mal eben umsetzen können und auch bei einer Umsetzung berichten Sie nur und haben noch nichts an Nachhaltigkeit vollbracht.
http://nachhaltige.versicherung
Stephan Bongwald ist Referent im Workshop Taxonomie in der Praxis – Erste Erfahrungen