Frage: Der BMZ-finanzierte Helpdesk Wirtschaft & Menschenrechte in der Agentur für Wirtschaft und Entwicklung berät Unternehmen aller Größen zur Umsetzung menschenrechtlicher Sorgfaltsprozesse. In welchen Themenbereichen stellen Sie die größten Unsicherheiten fest?
Michaela Streibelt: Unserer Erfahrung nach haben Unternehmen vor allem viele Fragen zur Risikoanalyse. Welche potenziellen branchen- und länderspezifischen Risiken gibt es? Welche Risiken stehen mit meinen unternehmerischen Aktivitäten in Zusammenhang? Welchen Einfluss kann mein Unternehmen nutzen, die Risiken und Verletzungen zu adressieren? Dies sind nur einige von vielen Fragen, zu denen wir Unternehmen beraten.
Die Anfragen variieren aber natürlich von Unternehmen zu Unternehmen. Dies macht unsere individuelle Erstberatung so wichtig. Unser 12-köpfiges Team geht individuell auf die Bedarfe und Herausforderungen der Unternehmen ein. Dabei ist auch eine breite Branchenexpertise notwendig, denn wir erhalten Anfragen diverser Industriezweige. Besonders viele Beratungen führen wir z.B. mit Unternehmen aus der Ernährungs-, und Automobilindustrie.
Häufig ist es zunächst wichtig zu schauen, welche Prozesse (z.B. Code of Conduct im Einkauf, Audits/Standards, vor Ort Besuche, Schulungen etc.) bereits im Unternehmen umgesetzt werden. Denn die meisten Unternehmen fangen nicht bei Null an, sondern haben oftmals bereits relevante Umwelt-, Arbeitssicherheits-, HR- oder Compliance-Systeme etabliert. Diese können risikobasiert Schritt für Schritt um weitere Aspekte der menschenrechtlichen Sorgfalt ergänzt werden.
Neben der individuellen Erstberatung bieten wir Unternehmen mehrere kostenfreie Online-Tools. Eins dieser Tools ist der „CSR Risiko-Check“, mit dem Unternehmen potenzielle Risiken in Bezug auf Menschenrechts-, Governance-, Umwelt- und Sozialfragen weltweit ermitteln können. Denn nur wenn Unternehmen die eigenen Menschenrechts- und Umweltrisiken in der Liefer- und Wertschöpfungskette kennen, können sie angemessene Maßnahmen dagegen ergreifen.
Frage: Frau Streibelt, das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzt verpflichtet Unternehmen mit mindestens 3.000 Beschäftigten ab Januar 2023, ab 2024 Unternehmen mit mindestens 1.000 Beschäftigten. Heißt das, KMUs treffen keine menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten?
Michaela Streibelt: Grundsätzlich sollten natürlich alle Unternehmen auf die Achtung der Menschenrechte in ihrem Einflussbereich achten. Das folgt aus den UN-Leitprinzipien Wirtschaft und Menschenrechte und ist auch die Erwartung der Bundesregierung, wie sie sie im Nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte formuliert hat. Das neue Gesetz nimmt jetzt mit bindenden, sanktionsbewehrten Rechtspflichten Unternehmen erst ab einer bestimmten Größe in die Pflicht. KMU sind nicht direkt betroffen. Das Gesetz kann aber auch Auswirkungen auf KMU haben, insbesondere wenn sie Teil der Lieferkette von betroffenen Unternehmen sind. Dies kann etwa der Fall sein, wenn das große betroffene Unternehmen Informationen für die Risikoanalyse oder Unterstützung bei Präventions- oder Abhilfemaßnahmen braucht. Sie trifft aber keine Berichtspflicht gegenüber Öffentlichkeit und Behörde und ihnen drohen keine Sanktionen.
Frage: Die Aufforderung zur freiwilligen Berichterstattung in Bezug auf die Einhaltung menschenrechtlicher Sorgfaltspflichten im Rahmen des Nationalen Aktionsplans Wirtschaft & Menschenrechte war nicht so erfolgreich wie gehofft. Welche Entwicklungen beobachten Sie momentan dazu bei den Unternehmen (direkt und indirekt betroffen)?
Michaela Streibelt: Unternehmen, die in den Anwendungsbereich des LkSG fallen, treffen ab 2023 bzw. 2024 Sorgfaltspflichten. Dazu gehört auch die Pflicht zur jährlichen Berichterstattung an die zuständige Kontrollbehörde, das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA). Die Berichterstattung wird über einen Online-Fragebogen erfolgen. Das BAFA hat letzte Woche seinen Fragebogen hierfür veröffentlicht.
Berichtet werden soll über die nach dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz einzuhaltenden Sorgfaltspflichten. Der Fragebogen übersetzt die Anforderungen des Gesetzes in Frage-Form und geht hierbei auf die Vielfalt unternehmerischer Realitäten ein. Dabei geht der Fragebogen der Erfüllung der Sorgfaltspflichten auf den Grund. Fragen können zwar oft mit Multiple-Choice oder ja/nein beantwortet werden. Im Freitext ist dann aber stets zu erläutern, wie konkret bestimmte Maßnahmen umgesetzt werden oder warum manche Maßnahmen nicht ergriffen wurden. Wichtig ist in diesem Kontext zu beachten, dass das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz mit dem Grundsatz der Angemessenheit einen risikobasierten Ansatz verankert. Verlangt wird also gerade nicht, dass Unternehmen mit der Gießkanne gegenüber all ihren Zulieferern dieselben Maßnahmen ergreifen, sondern ihre Aktivitäten nach den Kriterien der Angemessenheit steuern. Das bedeutet, dass die Intensität der Bemühungen unterschiedlich ausfallen kann und darf – abhängig von der Art und dem Umfang ihrer Geschäftstätigkeit, dem Einflussvermögen des Unternehmens, der Schwere und der Eintrittswahrscheinlichkeit von Verletzungen und der Art des Verursachungsbeitrags.
Die Berichtspflicht ist ein wichtiges Element menschenrechtlicher Sorgfalt. Sie dient der Transparenzschaffung gegenüber der Öffentlichkeit und der Erleichterung der Arbeit der Kontrollbehörde. Zentral sind aber die Inhalte, über die ein Unternehmen berichten muss, also Risikoanalyse, Maßnahmen einschließlich Grundsatzerklärung, Bewertung der Wirksamkeit der Maßnahmen und Schlussfolgerungen hieraus für künftige Maßnahmen. Für eine effektive menschenrechtliche Berichterstattung ist es daher wichtig, dass sich Unternehmen zunächst substanziell mit ihren unternehmerischen Aktivitäten in Verbindung stehenden Risiken und Verletzungen Menschenrechten und Umweltpflichten auseinandersetzen.
Michaela Streibelt ist Referentin im Workshop Berichterstattung im Rahmen des Lieferkettengesetzes
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