Drei Fragen an Stephan Bongwald

Drei Fragen an Stephan Bongwald

Frage: Wie ist ihr heutiger Blick auf die Entwicklung und die Anwendung der EU-Taxonomie?  

Seit 2008 begleite ich Nachhaltigkeitsthemen beruflich und aus privaten Interesse schon viel länger. Immer wieder wurde bei Ereignissen wie beispielsweise das Reaktorunglück in Fukushima im Jahr 2011 Nachhaltigkeit als Megatrend oder unbedingtes Muss ausgerufen. Aber zu wenig ist passiert. Erst der europäische Green Deal mit der Schaffung von notwendigen gesetzlichen Rahmenbedingungen soll den Weg zu einem nachhaltigen und ab 2050 klimaneutralen Europa ebnen. Die Taxonomie sehe ich als wesentlichen Meilenstein an, der Nachhaltigkeit definiert, also genau sagt, was auf Nachhaltigkeitsziele einzahlt oder eben nicht. Die extreme Schnelligkeit der Umsetzung der Taxonomie von den Gesetzen in die Unternehmen hinein ist eine große Hürde, die wir alle nehmen müssen. Dies ist für uns alle – egal wie man bisher aufgestellt war – nicht mal eben umzusetzen. Diese Schnelligkeit wird aber gefordert und sie ist notwendig, wenn wir den Klimawandel verlangsamen wollen. 

Frage: Wo liegen die Hürden bei der Ermittlung der Taxonomie-Kennzahlen?  

Wie gesagt, ist die Schnelligkeit der Umsetzung eine große Hürde. Erst kam die Transparenz-Verordnung (SFDR), die die Offenlegung von Nachhaltigkeit für Finanzprodukte fordert. Die technischen Regulierungsstandards, die die inhaltliche Ausgestaltung bedeuten, wurden immer wieder verschoben und kommen mit einem zeitlichen Verzug von über zwei Jahren. Dennoch mussten die Unternehmen Gesetze umsetzen. Man hat teilweise das Gefühl, dass man sich selbst rechts überholt. 

Die ökologische Taxonomie hat einen ähnlichen zeitlichen Versatz. Die ersten beiden Umweltziele Maßnahmen zum Klimaschutz und Anpassung an den Klimawandel sind schon in Kraft getreten. Die weiteren vier Umweltziele mit nachhaltiger Nutzung und Schutz der Wasser- und Meeresressourcen, Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft, Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung sowie Schutz und Wiederherstellung der biologischen Vielfalt und der Ökosysteme werden erst noch in Kraft treten. Diese Beispiele zeigen schon die großen Hürden bei der Ermittlung von Kennzahlen.  

Als Versicherung haben wir die ersten Kennzahlen zur Taxonomiefähigkeit in unseren nichtfinanziellen Berichten für das Jahr 2021 berichten müssen. Da der Gesetzgeber die Anpassung an den Klimawandel für die Versicherer als wesentliches Thema und Umweltziel sieht, mussten wir dazu berichten, d. h. wie hoch sind Investitionen und wie zahlen die Nicht-Lebensversicherungsprodukte auf dieses Taxonomieziel ein. Das Gesetz und deren Auslegung brachte aber viel Interpretationsspielraum mit sich, ohne eine Hilfestellung zu haben, an der man sich orientieren konnte. Im Rückblick können wir festhalten, dass wir ganz gut mit unserer Einschätzung lagen und die Versicherungsbranche ähnlich berichtet hat. Eine Vergleichbarkeit ist derzeit dennoch mit Vorsicht zu genießen. Durch den Interpretationsspielraum sagen die Kennzahlen noch nicht viel darüber aus, wie Unternehmen derzeit in Bezug auf ihre Umweltleistung aufgestellt sind. 

Frage: Welche richtungsweisenden Entwicklungen sehen Sie bei der Harmonisierung der Offenlegung von Nachhaltigkeitsdaten? 

Ich bin überzeugt davon, dass die europäische Taxonomie einen wesentlichen Meilenstein darstellt, um den Green Deal umzusetzen. Die Taxonomie wird noch um Ziele zu Soziales und guter Unternehmensführung vervollständigt. Damit arbeitet Europa konsequent auf die Sustainable Development Goals (SDGs) hin und kommt damit der international eingegangenen Verpflichtungen aller europäischen Länder nach. Dabei will ich unbedingt noch erwähnt haben, dass bei den SDGs auch von der Agenda 2030 gesprochen wird, d. h. dass wir nur noch acht Jahre Zeit haben, um die Ziele zu erfüllen. Da wären wir wieder beim Thema Schnelligkeit. 

Für mich sind weitere zwei Gesetze von entscheidender Bedeutung bei der Harmonisierung der Daten: 1. Die Weiterentwicklung der Nachhaltigkeitsberichterstattung über die CSR-Directive mit eigenen Kennzahlenwerken und 2. der ESAP (European Single Access Point), d. h. eine Datenbank, die mit Nachhaltigkeitskennzahlen von mindestens über 50.000 europäischen Unternehmen kostenlos bereitstellt. Warum so viele Unternehmen? Weil diese bald über die CSR-Directive zur Nachhaltigkeitsberichterstattung verpflichtet sind.  

Mein Aufruf an alle: Beschäftigen Sie sich ab sofort mit diesen Themen aus zwei Gründen! 

  1. Der Klimawandel wartet nicht und die Kipppunkte sind bald erreicht, an dem wir große Probleme bekommen werden. 
  1. Sie werden die regulatorischen Anforderungen unter keinen Umständen mal eben umsetzen können und auch bei einer Umsetzung berichten Sie nur und haben noch nichts an Nachhaltigkeit vollbracht. 

http://nachhaltige.versicherung  

Stephan Bongwald war Referent im Workshop Taxonomie in der Praxis – Erste Erfahrungen

Drei Fragen an Stephan Bongwald

Stephan Bongwald, Nachhaltigkeitsbeauftragter der Barmenia Versicherungen

Stephan Bongwald ist als einer der Ersten in der Versicherungsbranche seit 2012 Nachhaltigkeitsbeauftragter der Barmenia Versicherungen. Nach einer Ausbildung zum Versicherungskaufmann, folgte das BWL-Studium an der Fachhochschule Düsseldorf mit den Schwerpunkten Handel und Kommunikation sowie ein Studium bei der Deutschen Presseakademie zum PR-Berater. Es folgten Tätigkeiten in den Bereichen Marketing mit Schwerpunkt Internet und Presse sowie Öffentlichkeitsarbeit.

Er wurde mit dem B.A.U.M.-Umweltpreis ausgezeichnet und ist als B.A.U.M.-Beiratsmitglied seit September 2021 Koordinator und Sprecher des Zukunftskreis Nachhaltigkeit und Teilnehmer des GDV-Arbeitskreises zur CSR-Directive.

Stephan Bongwald ist Referent im Workshop Taxonomie in der Praxis – Erste Erfahrungen

Drei Fragen an Stephan Bongwald

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Theresa Scheutzow, Konferenz-Team & Gastgeberin Thementisch Grenzen der Nachhaltigkeit: die dunkle Seite der Digitalisierung

Theresa Scheutzow, Konferenz-Team & Gastgeberin Thementisch Grenzen der Nachhaltigkeit: die dunkle Seite der Digitalisierung

Theresa Scheutzow, geboren 1997, ist Masterstudentin der Betriebswirtschaftslehre an der Universität Paderborn mit dem Fokus auf Wirtschaftsinformatik und Ethik. Während ihres Bachelors an der Freien Universität Berlin fokussierte sie sich insbesondere auf CSR und nachhaltiges Lieferkettenmanagement. Seit 2020 ist sie studentisches Vorstandsmitglied am Heinz Nixdorf Institut Paderborn und arbeitet dort am Lehrstuhl Advanced Systems Engineering in der Strategie- und Geschäftsentwicklung des KI-Marktplatzes. Darüber hinaus ist sie ehemalige Praktikantin und Mitglied im Deutschen Netzwerk Wirtschaftsethik – EBEN Deutschland e.V. Ihre Forschungsinteressen sind Responsible Management, Machine Learning Bias und Green Computing.

Theresa Scheutzow ist Gastgeberin des Thementisches Grenzen der Nachhaltigkeit: die dunkle Seite der Digitalisierung und Unterstützt den 5. Deutschen CSR-Kommunikationskongress als Kongressassistentin.

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Drei Fragen an Lioba Schwarzer, Oroverde

Drei Fragen an Lioba Schwarzer, Oroverde

Frage: Worum geht es bei dem Stichwort „Entwaldungsfreie Lieferketten“ und warum ist das für Unternehmen relevant? 

Schwarzer: Für den Anbau und die Produktion zahlreicher Rohstoffe werden weltweit Wälder zerstört. Die EU importiert mit Waren wie Soja, Palmöl, Rindfleisch, aber auch Kaffee, Kakao und Kautschuk Entwaldung, und das im großen Stil: Durch den internationalen Handel mit Agrarrohstoffen ist die EU für 16% der weltweiten Entwaldung verantwortlich. Das hat enorme Auswirkungen auf die beiden größten ökologischen Herausforderungen unserer Zeit: die Biodiversitätskrise und die Klimakrise. Glücklicherweise hat die EU erkannt, dass es Zeit ist zu handeln, und stimmt derzeit im Trilog zwischen Kommission, Rat und Parlament über einen Verordnungsvorschlag ab, der den Handel von mit Entwaldung behafteter Ware verbieten soll.  

Frage: Warum braucht es die neue EU-Verordnung zu entwaldungsfreien Lieferketten? 

Schwarzer: Das Thema Entwaldung ist der Wirtschaft, Politik und Zivilgesellschaft schon lange Zeit bekannt, doch die bisherigen Maßnahmen beruhten nur auf Freiwilligkeit. Regierungen haben Abkommen unterzeichnet, die aber kaum Folgen mit sich gebracht haben, Unternehmen haben Selbstverpflichtungen festgelegt und sich größtenteils auf Zertifizierungen verlassen, und die Bevölkerung konnte sich nur blind auf eben diese Siegel verlassen. Die Entwaldung, die laut Abkommen und Selbstverpflichtungen bis 2020 beendet sein sollte, ist weiter fortgeschritten, in manchen Ländern sogar explodiert. Jährlich verlieren wir weltweit laut FAO 10,2 Mio. ha Wald – das ist in etwa so viel Wald, wie es ihn in Deutschland noch gibt.  Auch im letzten Jahr haben wir laut World Ressources Institute 3,75 Mio. ha tropischen Primärwald verloren, und dabei 2,5 Gt CO2 emittiert – so viel, wie Indien jährlich durch die Verbrennung fossiler Brennstoffe freisetzt. Mit einer Verordnung kommt nun endlich Verbindlichkeit, und es werden gleiche Wettbewerbsbedingungen für alle geschaffen.  

Frage: Was sollten Unternehmen tun, um zum Ziel entwaldungsfreier Lieferketten beizutragen? 

Schwarzer: In erster Linie müssen sie mit ihren Lieferanten ins Gespräch kommen und erfahren, woher genau ihre Ware kommt. Das ist leider nicht immer trivial, aber es gibt glücklicherweise mittlerweile zahlreiche Unterstützungmöglichkeiten für Unternehmen. Eine, die genau auf deutsche KMUs zugeschnitten ist, möchte ich gerne beim Nachhaltigkeitskongress vorstellen.    

Lioba Schwarzer war Gastgeberin des Thementisches Entwaldungsfreie Lieferketten

Drei Fragen an Lioba Schwarzer, Oroverde

Lioba Schwarzer, Oroverde

Lioba Schwarzer, geboren 1979, arbeitet seit 2021 bei der Tropenwaldstiftung OroVerde. Sie studierte Biologie in Bonn und Bremen, wo sie mit einem Master in Tropischer Meeresökologie abschloss. Sie arbeitete bereits für verschiedene internationale Nichtregierungsorganisationen und nahm zudem als Nachhaltigkeitsanalystin die CSR-Aktivitäten von Unternehmen aller Branchen für einen ethisch-ökologischen Fondsanbieter streng unter die Lupe. Bei OroVerde führt sie nun ein Projekt durch, das Unternehmen bei der Gestaltung von entwaldungsfreien Lieferketten unterstützen soll.

Lioba Schwarzer ist mit Oroverde Gastgeberin des Thementisches Entwaldungsfreie Lieferketten

Drei Fragen an Lioba Schwarzer

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